Kinderbetreuung: Rechtsanspruch weckt falsche Erwartungen
In der konkreten Umsetzung des von den Sozialpartnern geforderten Rechtsanspruchs auf Kinderbetreuung sind für den Sozialrechtler und Leiter des Instituts für Familienforschung in Bezug auf die konkrete Umsetzung noch viele Fragen offen. Zu allererst sei einmal das Ziel zu klären: Wolle man beispielsweise die elementare Bildung des Kindes sicherstellen oder sei etwa eine höhere Erwerbsquote das Ziel.
Weitere Fragen, die sich für den Juristen stellen: Wer ist konkret der Anspruchsberechtigte? Das Kind oder die Eltern? Welche Distanz vom Wohnort zum Kindergartenplatz ist zulässig? Was passiert, wenn das Kind in einem Betriebskindergarten ist und der Job gewechselt wird? Gibt es eine Methodik der Wahlfreiheit und wie wird die sichergestellt? In welcher Form muss der Betreuungsplatz zur Verfügung gestellt werden? Muss das ein Kindergartenplatz sein oder kann es auch ein Platz bei einer Tagesmutter sein? Was bedeutet qualitativ hochwertig? Klärungsbedarf bestünde auch bei der zeitlichen Dimension in Bezug auf die Öffnungszeiten und die Schließtage.
Im Hinblick auf die personellen Ressourcen in den elementarpädagogischen Einrichtungen meinte Mazal: „Ich habe das Gefühl, an allen Ecken und Enden fehlen uns die Menschen, um die verschiedenen Wünsche an den Staat umzusetzen.“ Darüber hinaus ortet der Experte auch ein semantisches Problem. Ein Rechtsanspruch erwecke Erwartungen, die nicht zu erfüllen seinen und würden in der Folge zu Enttäuschung und Politikverdrossenheit führen. Der Ansatz: „one size fits all“ sei im Zusammenhang mit Kinderbetreuung verfehlt und nicht möglich. Wolfgang Mazal warnte davor, vorschnell überzogene Erwartungen zu wecken: „Selbst wenn man hinter dem Anliegen auf Rechtsanspruch steht, darf man all diese Fragen nicht ausblenden.“
Martina Fink, klinische Psychologin am Keplerklinikum in Linz, beleuchtete in ihrem Vortrag den Bindungsaspekt und erläuterte, unter welchen Voraussetzungen sichere Bindung und Betreuung außerhalb der Familie möglich sei. Primär gehe es dabei um Feinfühligkeit. Das bedeute, dass die Pflegeperson die Signale des Säuglings wahrnehmen, richtig interpretieren und angemessen und prompt reagieren müsse. Und die Pflegeperson mit der größten Feinfühligkeit in der Interaktion werde die Hauptbindungsperson für den Säugling.
Bindung bedeute ein lang andauerndes, affektives Band zu ganz bestimmten Personen, die nicht ohne weiteres auswechselbar seien und deren körperliche und psychische Nähe und Unterstützung gesucht werde. Eine sichere Bindung sei wesentlich, damit Kinder sich zu resilienten Erwachsenen entwickeln könnten. Fink wies auch darauf hin, dass die ersten Lebensjahre prägend seien und Entwicklung nur in Beziehung möglich sei. „Je kleiner die Kinder sind, desto wichtiger sind die Bezugsperson, denn die Bedürfnisse eines Säuglings sind anders als die eines zwei-jährigen Kindes“, stellt die Psychologin klar. Gleichzeitig stelle sie aber auch klar, dass ein Kind auch eine größere Gemeinschaft braucht.
Entscheidend bei der Fremdbetreuung sei die hohe Qualität. Die wesentlichen Faktoren dafür sind eine lange Eingewöhnungsphase, ein Betreuungsschlüssel von zwei bis drei Kindern pro Betreuer/in, konstante, feinfühlige Bezugspersonen und die regelmäßige Struktur des Tagesablaufs, sogenannte Rituale. Um von einer guten Bindung bei außerhäuslicher Betreuung sprechen zu können, brauche es für Kinder bis zum 2. Lebensjahr eine Betreuungsperson für zwei Kinder; für Kinder bis zum 3. Lebensjahr eine Betreuungsperson für vier Kinder und vom 4. bis zum 6. Lebensjahr eine Betreuungsperson für fünf Kinder. Für die Psychologin zeigten die aktuellen Forschungsergebnisse daher sehr gut, was es für eine qualitätsvolle Fremdbetreuung brauche. „Da muss man schon sagen, dass die Realität von dem, was wir wissen, stark abweicht“, so ihr Fazit über den Status Quo in Österreich.
Alfred Trendl, Präsident des Katholischen Familienverbandes, kritisiert – wenn es um einen Rechtsanspruch auf Betreuung geht – die fehlende Einbindung der Familienorganisationen: „Da sind die Sozialpartner eingebunden. Aber Familienorganisationen, die Vertreter der unmittelbar Betroffenen, der Familien, werden nicht gehört“, so seine Kritik und fordert bei der Diskussion das Kindeswohl in den Mittelpunkt zu stellen.
Hier finden Sie eine Umfrage und ein Pro und Contra zum Thema: